Spiels noch einmal, Sam…

Spiels noch einmal, Sam… Und Sam spielt es: „…as time goes by“. Das Kino füllt sich mit der Melancholie des unwiederbringlichen Glücks, dessen letztes Aufleuchten aus der düsteren Gegenwart in eine ungewisse Zukunft weist. „Casablanca“, der Klassiker des „Film Noir“, spielt das Stilmittel der Lichtregie, in der sich die äußere wie auch die innere Dramatik der Handlung und die Emotionen der Protagonisten abzeichnen, bis zum Abheben des Flugzeuges in einen nebelverhangenen Morgenhimmel gekonnt aus. Vom ungewissen Grau wird der weich schimmernde Glanz des Happy End ebenso verschluckt wie die harten Schlaglichter eines Tausendjährigen Reiches, dessen düstere Realität sich bedrohlich in dem subtilen Schwarz-Weiß des Filmes und seiner Zwischentöne abzeichnet.

 

Abspann, Blende – es herrscht wieder die Alltagswelt voll Farben.

 

Die scherenschnittartig konturierte, innen nahezu unmerklich wogende, helldunkle Zeichen-Welt von Uta Siebert enthält sich deren blendender Verführung. Die sich auf dem Weiß des Papiers ausbreitenden dunklen Formen, nicht selten rhythmisch verschlungen, wallend, kriechend oder spitz stachelnd, verweisen Emotionen erst einmal auf Distanz. Der das Bild erfassen wollende Blick gerät ins Stocken und tastet sich verunsichert durch seine inhomogenen Teile. Zwar bietet sich ihm ein Déjà- vu einigermaßen herausfordernd an: Hat man diese Gestalten, diesen Moment, diesen Schauplatz nicht schon mal irgendwo gesehen? Waren es Fotografien, waren es Filmszenen? Kennt man nicht diese Verlorenheit in Blick und Haltung, in der sich die Deplatziertheit der Protagonisten ebenso auszusprechen scheint wie eine unbekannte Gefahr? Das Flimmern der Augen, wenn eine Tür sich öffnet und Unerhörtes hereinbricht? Füllten sich die Augen des riesigen Affen nicht mit Zärtlichkeit und einer Träne, wenn er ihn auf die Schöne in seiner Hand richtete?

Die Gestalten aus den vergangenen Zeiten, als die Fiktionen noch im Schwarzweiß des Kinos zu Hause waren und aus dem dunklen Schatten des Hauses in die tiefen Schluchten der Großstädte traten, beschwört Uta Siebert in dichten, kontrolliert geführten Strichlagen des Bleistiftes herauf. Den Übergang von ihrer Entstehungszeit der 1940er und 1950er Jahre, von einem Medium – dem Film – in ein anderes – die Zeichnung - jedoch gestattet sie ihren Motiven nicht unverändert. Herausgelöst aus ihrer Erzählung, in fremde Nachbarschaften versetzt, Verlusten und Verwandlungen unterworfen, sind sie nicht nur aus dem Zeit- und Raumkontinuum des Filmes ausgetreten, sondern werden in aller Stille des weißen Papiers zu einem unerwarteten Szenario. Minutiös gezeichnet bis in die kleinsten Modulationen begegnen sich Versatzstücke fragwürdig gewordener Erinnerungen und gebrochener Erzählungen.
 

Auch wenn das Detail, in größtmöglicher Genauigkeit gezeichnet, sich verlockend dem Erkennen darbietet – das Stocken angesichts seiner Täuschung folgt auf dem Fuß. Es bleibt dem Betrachter kaum etwas anderes übrig als anzuhalten und seinen Blick noch einmal neu einzustellen, das zufrieden deutende Erkennen erstirbt noch im Moment seines Aufsteigens und macht der Verwunderung Platz. Die Lust am genauen Hinschauen allerdings bleibt auch weiterhin bestehen, die Feinheit der Zeichnung lädt geradezu verlockend dazu ein. Sollte es nicht doch gelingen, sich eine Erzählung dieser seltsam anmutenden Umstände zusammen zu reimen?

Ja, schon. Diese Erzählung setzt zwar in der Zeichnung an, reicht jedoch über sie hinaus, entfaltet sich unausgesprochen in ihren Sprüngen und Facetten. Es ist eine Erzählung von der Brüchigkeit der Bilder, von der in Fetzen gegangenen Zeit, von der unauslöschbaren, melancholisch getränkten Sehnsucht nach dem Happy End und von dem zugleich nicht unbegründeten Misstrauen dagegen. Es sind die Klischees von Klischees, die schon im Film Noir durchlässig werden für den darunter hinziehenden, reißenden, manchmal brodelnden, dunklen Unterstrom. Die Klischees, die Bilder der Oberflächen, zerlegt Uta Siebert in den feinen Strichlagen ihrer Zeichnungen. Ihre Hand kontrolliert die gaukelnden Geister, die Phantasmen ebenso wie das Ziehen der Herzen – geduldig, wachsam und balancierend auf dem Grat zwischen Nähe und Distanz, zwischen der Evokation von Bildern und ihrem Fremdwerden in den unablässigen Bewegungen der zeichnenden Hand. Es ist eine Zerlegung der Zeit, deren chronologische Abfolge sich auseinander faltet und ein Schlaglicht in ihre Unergründlichkeit wirft. Was sich angesammelt hat, tritt hervor – ein Moment, in dem das Ticken aussetzt und Erinnerung gegenwärtig wird in ihrer gebrochenen Übersetzung.

Was wohl hat sie aufgerufen? Das Unbehagen, das eine bunt bebilderte Welt mit der Flut ihrer Cover Girls, glatten Oberflächen, obszönen Attitüden auslöst? Das Flimmern der Pixel, die das tiefe Dunkel und den sensitiven Lichtschimmer jeder Zeichnung, aber auch jeder vordigitalen Schwarzweiß-Fotografie oder Schwarzweiß-Filmes niemals nachstellen können? Hält sich das Fiktive, aus den Tiefen des Bewusstseins gespeist, eher in der Distanz, in der Fremdheit, in der Brüchigkeit, wenn nicht gar der Verweigerung auf?

 

Die in eine sichtbare Stille gestellten Szenarien von Uta Siebert, die sich in ihrem langen und geduldig, in dem unermüdlich vorangetriebenen Prozess des Zeichnens formulieren, spinnen leise ihre Fäden und verweben sich zu einem Muster, hinter dem sich noch immer weitere Bilder auftun – ein Knäuel, das in das Labyrinth der Schatten führt, sich ausbreitend unter dem Ticken der Zeit. Das Ziehen im Herzen führt noch dorthin und kaum hörbar weht es manchmal wie ein Fetzen herüber „…a kiss is still a kiss…“.

 

Cornelia Wieg, Kustodin des Kunstmuseums Moritzburg, Halle (Saale)